Die Customer Journey wird von Marketingexperten heute gut verstanden. Sie versteht sich als eine Reise des Kunden zum Produkt / zur Dienstleistung des Unternehmens. Die Reise führt entlang von direkten Kontaktpunkten wie Anzeigen, Werbespots und Webseiten, aber auch indirekten Kontaktpunkten wie Meinung von Dritten in Bewertungsportalen, Userforen, Blogs usw. Ein tiefgehendes Verständnis der gesamten Customer Journey gilt als Grundvoraussetzung für eine kundenorientierte Marketing- und Vertriebsausrichtung.
Was hat das mit dem Thema Investor Relations zu tun? Es gibt eine der Customer Journey vergleichbare Reise: Die des Investoren zur Aktie: Die Investor Journey. Die Investor Journey ist wie die Customer Journey eine Reise von Entdeckungen und Entscheidungen. Von direkten und indirekten Kontaktpunkten zum Unternehmen und zur Aktie. Von Emotionen und Fakten.
Die Phasen einer Customer/Investor Journey
Die Customer Journey gliedert sich in 5 Phasen und lässt sich auf die Investor Journey übertragen:
- Awareness: Das Bewusstsein für das Produkte wird geweckt. Bei einer Investor Journey kann dies durch eine Roadshow, eine Konferenzteilnahme oder auch durch ein direktes Investor Targeting erfolgen.
- Favorability: Das Interesse für das Produkt wird im Rahmen der Customer Journey verstärkt: Für die Investor Journey heißt dies: Die detaillierten Investmentkriterien der Investoren sollten – soweit nicht bereits geschehen – analysiert und herausgearbeitet werden. Auf diese Kriterien sollte in der Kommunikation mit dem Investor gezielt hingewiesen werden, um das Interesse am Unternehmen zu verstärken. Die Investmentkriterien der Investoren variieren dabei sehr und gehen weit über die übliche Fokussierung auf Unternehmensgröße / Branche / Region / Groth / Value hinaus. Mögliche Kriterien, auf welche Investoren Wert legen können sind: Marktmacht, Preismacht, Kapitalbedarf, stabile Umsätze, stabile Gewinne, stabile operative Margen, geringes PEG, hoher ROE/ROA, transparentes Rechnungswesen, Möglichkeiten eines nachhaltigen Wachstums, Wettbewerbsposition, Wachstum und Wachstumsaussichten des Marktes etc. Wichtig aus Sicht der IR ist es also, die Interessen der Wunsch-Investoren genau zu kennen. Dies erfordert zunächst eine Festlegung der Zielinvestoren im Rahmen eines Investor Targetings und anschließend eine Analyse der Anlageschwerpunkte jenseits von Unternehmensgröße / Branche / Region. Informationsprovider wie Thomson Reuters oder auch Bloomberg bieten entsprechende Tools um solche Analysen vorzunehmen.
- Consideration: Der Kunde erwägt im Rahme der Customer Journey den Kauf des Produktes: Im Zusammenhang mit der Investor Journey heißt das: Frühe Kontaktpunkte auch als „Early Stage Touchpoints“ bekannt, sind wichtig, um den Investor in seinem Vorhaben zu bestärken. Dabei unterscheiden sich die „frühen Kontaktpunkte“ von „späteren Kontaktpunkten“. Zu Beginn seiner Investor Journey geht es darum, Vertrauen zum Unternehmen und zur Industrie aufzubauen, eine Einschätzung des Managements und der Unternehmensziele vorzunehmen. Sollten diese Einschätzungen positiv ausfallen, so wird der Investor entscheiden, mehr Zeit in weitere Analysen zu investieren.
- Intent to Purchase: Bei der Customer Journey wird hier nun die Kaufabsicht immer konkreter. Im Rahmen der Investor Journey verändern sich nun seine Interessen. Es geht jetzt um die „späteren Kontaktpunkte“. Wie auch bei den „frühen Kontaktpunkten“ können diese Interessen von Investor zu Investor sehr variieren. Bspw. mehr Informationen zu finanziellen Aspekten, Aktienkurse, Charts, detaillierte Analysen aber im Rahmen des Booms von ESG-Themen möglicherweise auch Anfragen zu Nachhaltigkeitsthemen, Corporate Governance-Themen, Risikoaspekten, sozialen Fragen etc.
- Conversion: Im Rahmen der Customer Journey heißt das: Das Produkt wird gekauft.Während die Customer Journey mit dem Produktkauf meist endet, wird die Investor Journey in ein Relationship-Management überführt: Es geht darum den Investor zu überzeugen, seine Aktienpositionen zu erhöhen oder zumindes zu halten.
Nun ist es grundsätzlich eine Herausforderung, alle 5 Phasen der Investor Journey auf Seiten der IR gerecht zu werden: Analysen über die Präferenzen der Investoren müssen erarbeitet, Roadshows abgehalten, Konferenzen durchgeführt werden. Unterlagen müssen entsprechend der Präferenzen der Investoren aufbereitet werden. Das Management ist am Kapitalmarkt zu positionieren. Es gilt, sowohl die „frühen Kontaktpunkte“ wie auch die „späteren Kontaktpunkte“ kontinuierlich up to date zu halten und an den sich ggf. ändernden Bedarf der Investoren anzupassen.
All das ist kaum ohne eine IR-Strategie zu bewältigen. Im Idealfall sind die Anforderungen der „Investor Journey“ ein Teilbestand des Investor Targeting und werden bei der Entwicklung der IR-Strategie berücksichtigt.
Investor Journey – Investor Targeting – IR-Strategie
Wie sollte nun das Wissen um die ‚Investor Journey‘ in die IR-Arbeit einfließen? Bestandteile einer klassischen IR-Strategie sind die Analyse, die Festlegung von Zielen und Zielkategorien, Festlegung des IR-Instrumentariums, Bestimmung der KPIs und operativen Ziele sowie der Messinstrumente.
Im Rahmen der Analyse ist es sinnvoll, nicht nur eine klassische Perception Study mit der Zielgruppe der existierenden Investoren durchzuführen. Vielmehr sollte auch das Anlegeverhalten von „Wunschinvestoren“ mit in den Analyseprozess einbezogen werden. Basierend auf diesen Ergebnissen kann anschließend festgelegt werden, welche Ziele und Zielkategorien festgelegt werden. Ist bspw. im Rahmen der Analyse festgestellt worden, dass viele „Zielinvestoren“ Wert auf ein potentielles nachhaltiges Unternehmenswachstum legen, so kann das Ziel sein, die Kommunikation hinsichtlich dieses Aspektes zu stärken (Shareholder Value Reporting, Schwerpunkt auf Wachstumstreiber). Als IR-Instrumentarium mag man dann ggf. definieren, Wachstumstreiber und deren detaillierte Erläuterung in die Berichterstattung und Unternehmenspräsentationen aufzunehmen. Ein mögliches KPI könnte die Anzahl der „Wunsch-Investoren“-Gespräche sein mit Investoren, die einen besonderen Wert auf Wachstumsaussichten stellen und ein operatives Ziel wäre bspw. „mind. 10 Gespräche mit „Wunsch-Investoren“, welche besonderen Wert auf Wachstum legen.“
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Das Konzept der Investor Journey hilft dem IRO, den Entscheidungsprozess der Investoren besser zu verstehen. Dieses Wissen sollte in die Entwicklung der IR-Strategie einfließen um ein zielgenaues Investor Targeting durchzuführen.