ESG-Ratings im Check: Was ist dran an der scharfen Kritik?

ESG-Ratings im Check: Was ist dran an der scharfen Kritik?

 

Die Kritik an den ESG-Unternehmensratings ist vielfältig. Eigentlich sollen sie Scoring-Ansätze für die Bewertung von Unternehmen bezüglich der ESG-Aspekte bieten. Also für zahlreiche Aspekte rund um die Begriffe Umwelt, Soziales und der Unternehmensführung. Kritikerinnen und Kritiker glauben, dass die ESG-Ratings stattdessen eher für Verwirrung sorgen und bedeutungslos sind, wenn es um die Aussagekraft rund um die Auswirkungen von Unternehmen auf die Umwelt und Gesellschaft geht. Doch ist diese Kritik gerechtfertigt? Eine Studie von Pictet Asset Management kommt zum Schluss: Ja, aber nur zum Teil.

 

Zwei verschiedene Wege von Ratingagenturen

Viel von der Verwirrung kommt laut den Autoren der Studie von einem falschen Verständnis der Ziele der Ratingagenturen, welche hinter den ESG-Ratings stehen. Beispielsweise denen von MSCI und Morningstar Sustainalytics. Diese beiden marktbeherrschenden Agenturen stellen vor allem die finanzielle Wesentlichkeit von ESG ins Rampenlicht. Wichtig dabei: Mit diesem Ansatz wird nicht der Anspruch erhoben, dass Dienstleistungen und Produkte der Unternehmen einen positiven Effekt für Umwelt oder Gesellschaft haben.

Andere Ratingagenturen versuchen, die allumfassenden Auswirkungen der Firmen auf die Welt zu raten. Im Fokus stehen dabei Aspekte wie die Anstrengungen zur Schaffung eines Zugangs zur sanitären Grundversorgung. Oder auch die Einhaltung globaler Menschenrechts- und Arbeitsnormen. Diese Herangehensweise wird zumeist von kleineren ESG-Ratingagenturen verfolgt. Interessant sind die Beurteilungen vor allem für Investorinnen und Investoren, welche soziale und ökologische Ziele verfolgen.

In der Studie werden die beiden Wege als „Stakeholder-Impact“ und „Emittenten-ESG-Risiko“ bezeichnet. Bei beiden können Investorinnen und Investoren wichtige Informationen erhalten. Sie müssen nur wissen, worauf sie sich einlassen. Einen ganzheitlichen Ansatz gibt es bei den ESG-Ratingagenturen nicht.

Methodische Inkompetenz – haben die Kritiker Recht?

Der wohl größte Kritikpunkt an den ESG-Ratingagenturen ist die Tatsache, dass diese teilweise bei ein und demselben Unternehmen zu völlig unterschiedlichen Beurteilungen kommen. Das belegen auch die Studienautoren. Demnach schwankt die Korrelation zwischen zwei Ratings für ein Unternehmen zwischen 0,71 und 0,38. Zum Vergleich: Die Korrelation zwischen den Beurteilungen von S&P und Moody“s liegen im Bereich von 0,96 und 0,98.

Die Gründe für diese Abweichungen wurden in einer Studie von Berg et al aus dem Jahr 2022 beschrieben. Demnach gibt es vor allem drei Aspekte, welchen Ratingagenturen unterliegen:

  • Die ESG-Kategorien erhalten von den Agenturen verschiedene Gewichtungen.
  • Bei den Agenturen gibt es Unterschiede beim Spektrum, also der Abdeckung, der ESG-Kriterien.
  • Agenturen haben unterschiedliche Messansätze entwickelt. Es werden verschiedene Indikatoren verwendet und die Indikatoren werden teils unterschiedlich verarbeitet.

Die Kritik ist demnach berechtigt, allerdings konzentrieren sich die Diskrepanzen der Messungen auf wenige ESG-Kategorien. Beispielsweise die Unternehmensführung, das Umweltmanagement, die Korruption und das Klimarisikomanagement. Und es gibt Hoffnung, dass sich die Bewertungen annähern. Die Analyse der Experten deutet nämlich darauf hin, dass in der nächsten Zeit eine Konvergenz der Ratings Einzug erhalten kann. Vor allem dann, wenn bei Firmen die veröffentlichen ESG-Daten einem Standard entsprechen. Derartige Bemühungen gibt es bereits.  

Was können ESG-Ratings nicht leisten?

Bei aller berechtigten und weniger berechtigen Kritik: Für Investorinnen und Investoren ist es wichtig zu wissen, das ESG-Ratings leisten können – und was nicht. Die meisten Ratingagenturen vernachlässigen die Aspekte rund um die Dienstleistungen und Produkte von Unternehmen und ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Aspekte, die für viele Anlegerinnen und Anleger immer wichtiger werden. Daher sollten sie in diesem Bereich auch auf andere Instrumente setzen.

Ratingagenturen können Investorinnen und Investoren, die eine Portfolioausschlussliste anwenden wollen, die auf einem Produktmix der Unternehmen basieren, oftmals keine klaren Signale liefern. Und die Bedeutung von Unternehmenskontroversen wie Versäumnisse wie Compliance-Verstöße kann ebenfalls nicht klar bewertet werden. All diese Belange fließen in die ESG-Ratings ein, allerdings nur als ein Faktor von vielen.

Was können ESG-Ratings leisten?

Ebenso wichtig ist zu wissen, was ESG-Kriterien sehr wohl leisten können. Die Experten der jeweiligen Studien sind sich einig, dass diese die ESG-Analyse beschleunigen und vereinfachen können. Investorinnen und Investoren können demnach ohne Zweifel davon profitieren, dass viele ESG-Indikatoren in einem Rating zusammengefasst sind. Der Ansatz hat seine Grenzen, wie fast jeder andere auch. Das muss den Anlegerinnen und Anlegern ebenfalls bewusst sein.

Es kann für sie ratsam sein, die ESG-Ratings so zu nutzen, wie Empfehlungen von Investmentresearch-Unternehmen zum Kauf, dem Halten oder dem Verkauf von Aktien. Die ESG-Scores wären damit eine Investmenteinschätzung. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Teil der Kritik an den ESG-Ratings wird dadurch hinfällig.

Lichtblick: ESG-Regulierungen

Für alle, die von der gegenwärtigen Situation rund um die ESG-Ratings enttäuscht sind, gibt es einen Lichtblick. Die Regierungsbehörden sind dabei einzugreifen. Bereits im letzten Jahr wurden von den Behörden in Japan einen Verhaltenskodex für ESG-Ratingagenturen eingeführt. Die Europäische Union (EU) zog daraufhin mit einer eigenen Konsultation begonnen, welche zu einer Überarbeitung des Rechtsrahmens führen soll. Ende 2023 will die EU einen Legislativvorschlag vorlegen. Dann will auch die britische Regierung mit einer Konsultation beginnen. Die Kritik an den Schwächen der ESG-Ratings schlägt demnach hohe Wellen.


Quellen:
https://e-fundresearch.com/newscenter/106-pictet-asset-management/artikel/49220-esg-ratings-unter-die-lupe-genommen#:~:text=Auch%20ESG%2DFondsratings%20sollten%20genauer,der%20Bestandteile%20des%20Fonds%20dar


https://blogs.cfainstitute.org/investor/2021/08/10/esg-ratings-navigating-through-the-haze/


https://climateimpact.edhec.edu/does-esg-investing-improve-risk-adjusted-performance