Verwirrende Varianz: ESG-Ratings zeigen erhebliche Unterschiede

Verwirrende Varianz: ESG-Ratings zeigen erhebliche Unterschiede

 

ESG-Ratings sind in der Finanzwelt zu einem wichtigen Instrument geworden, um die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen zu bewerten. Doch der ESG-Ratingmarkt steht unter zunehmendem Druck und wird immer wieder wegen intransparenter Methoden und möglicher Interessenskonflikte kritisiert. Zudem gibt es erhebliche Abweichungen in den ESG-Ratings von Rating-Agenturen, insbesondere bei einzelnen Unternehmen.

 

 

Insbesondere im vergangenen Jahr hagelte es schlechte Noten für ESG-Ratings, als die EU-Kommission die Ergebnisse einer mehrmonatigen Konsultation bekannt gab. Die Ergebnisse waren nahezu verheerend: 84 Prozent der Befragten stellten die Effektivität des aktuellen ESG-Ratingmarkts in Frage. Die Hauptkritikpunkte waren methodische Schwächen, die zu Verzerrungen der Ergebnisse führten (91 Prozent), mangelnde Transparenz (83 Prozent) und das Vorhandensein von Interessenskonflikten (über 80 Prozent).

 

Variierende Schwerpunkte, variierende Beurteilungen
Ein Beispiel für solche Divergenzen ist das ESG-Rating von Tesla. Unterschiedliche Rating-Agenturen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei MSCI erhielt Tesla eine gute Bewertung von „A“, während das Rating von ISS ESG Corporate mit einem „C+“ eher schlecht abschnitt. Im S&P CSA erhielt Tesla sogar nur 28 von 100 möglichen Punkten. Diese Unterschiede zeigen, wie wenig einheitlich die Bewertungsmaßstäbe der Agenturen sind.

Die Abweichungen in den ESG-Ratings resultieren zum Teil aus der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der Rating-Agenturen. Jede Agentur legt ihren Fokus auf verschiedene Nachhaltigkeitsaspekte. Beispielsweise konzentriert sich CDP Climate Change auf Klimathemen, während MSCI eine vordefinierte Auswahl von sechs relevanten Nachhaltigkeitsaspekten untersucht. ISS ESG versucht hingegen, das gesamte Nachhaltigkeitsspektrum abzubilden. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte führen zu unterschiedlichen Bewertungen.

 

Herausforderung Datenbereitstellung durch die Unternehmen
Besonders für Small Caps und Mid Caps stellen die Datenbereitstellung für die Ratings eine Herausforderung dar. Große Konzerne wie Daimler und Nestlé veröffentlichen massig Daten, die von den Rating-Agenturen ausgewertet werden können. Kleinere Unternehmen hingegen haben oft weniger Informationen veröffentlicht und können nicht auf die gleiche Ressourcenkapazität zurückgreifen. Dies führt dazu, dass diese Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit im Schnitt schlechter bewertet werden.

Zudem belasten die Fragebögen der Rating-Agenturen die Unternehmen, insbesondere die Small Caps, enorm. Die Teilnahme an Ratings erfordert hohe Aufwände und Ressourcen, die viele Unternehmen scheuen. Oft sind die Fragebögen standardisiert und bieten keine Möglichkeit für eine individuelle Analyse und Bewertung der Unternehmen. Dies führt zu einer zusätzlichen Belastung für die Unternehmen.

 

Mögliche Folgen für Unternehmen: Negativbewertungen
Der Optikkonzern Isra Vision aus Darmstadt wurde Opfer der sogenannten Large Cap Bias. Der Hintergrund: Ratinganbieter neigen dazu, sollten sie keine Informationen zu bestimmten Nachhaltigkeitskriterien finden oder von den Unternehmen erhalten, negative Bewertungen zu vergeben. Ein solches Vorgehen diskriminiert Unternehmen massiv, welche die gewünschten Informationen nicht liefern können – bspw. gerade Small Cap-Unternehmen.

So erhielt Isra Vision die schlechteste denkbare Bewertung von ISS ESG – ein „D-„. Denn Isra Vision hatte die Anfrage von ISS ESG, sich an der Erstellung eines Ratings zu beteiligen, ignoriert. Isra Vision wehrte sich gegen die Bewertung „D-„, es kam zum Gerichtsverfahren. Im Verfahren wurde festgestellt, dass die von ISS ESG kritisierten Bereiche für das Unternehmen irrelevant waren. Das Gericht entschied, dass ISS ESG Isra Vision nicht mit der schlechtesten Note „D-„ bewerten durfte. Es wurde betont, dass ein Unternehmen nicht schlecht bewertet werden darf, nur weil bestimmte Informationen nicht verfügbar sind, und dass die Analysekriterien eng mit dem Geschäftsbetrieb verknüpft sein müssen.

 

Fazit
Die Kritik an ESG-Rating-Agenturen und ESG-Ratings nimmt zu. Die intransparenten Methoden, Interessenskonflikte und erheblichen Abweichungen in den Bewertungen sind zentrale Punkte der Kritik. Zudem stehen vor allem Small Caps und Mid Caps vor großen Herausforderungen bei der Datenbereitstellung. Die Fragebögen der Rating-Agenturen belasten die Unternehmen zusätzlich. Es ist dringend erforderlich, dass der ESG-Ratingmarkt transparenter und vergleichbarer wird, um das Vertrauen der Investoren zu stärken und eine effektive Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance zu ermöglichen.

 

Quellen:

„Der ESG-Ratingmarkt steht unter Druck. Kritikerinnen und Kritiker werfen den Ratingagenturen intransparente Methoden und Interessenskonflikte vor.“ (Background – Tagesspiegel)
„Nachhaltigkeitsrankings: ESG-Ratings im Überblick“
„Kritischer Umgang mit ESG-Ratings“
„ESG-Ratings irritieren mit deutlichen Unterschieden“